gelbgehen

… Subversiv sucht Günther seinen bisherigen Umgang mit den Bilder – „ein Bild ist (nur ) ein Bild“ – so zu erweitern, dass die kreatürlichen Wahrnehmungs- und instinktiven Orientierungseigenschaften des Menschen auf’s Neue spielerisch geweckt werden. Solidarisch mit den Naturbegabungen des Menschen, will er die Wellen der Reizüberflutung brechen und mediale Konsummuster durch feinsinnige Bildinvasionen in den Alltag wahrnehmungs- und bewusstseinsverändernd irritieren. Seine Kunst, mit Bildsymbolen angewandt umzugehen, tendiert zur Transzendierung der Kunsterfahrung in die alltägliche Umwelterfahrung. …

… Im Zentrum des Projekts „Gelb 92“ steht ein Raum, den Detlef Günther zusammen mit dem Galeristen Thomas Sakschewski eingerichtet hat. Dieser soll das ganze Jahr über immer wieder neu als Treffpunkt dienen. Er ist das Herz, der wie ein Blutkreislauf durch die Stadt gepumpten Zeichen- und Bildaktionen, deren Fotodokumentationen hier zusammen mit den Originalen nebst stellvertretenden Dauerzeichen und Symbolobjekten, wie Bildern und bildhaften Kompositionen ständig im Wechsel mit verschiedenen Performances oder Happenings zu sehen sein werden.

Auszug aus: GELB 92 oder „Der Tag heute davor und dahinter und mittendrin“ – Christian Schneegass | Berlin, den 18.01.92

Gelb 92 ist auch eine Untersuchung über die Wahrnehmungsgewohnheiten der Betrachter von moderner Kunst. Alles kann Kunst sein, nur die Situation oder der künstlerische Rahmen kennzeichnen die Grenze zwischen Kunst und Alltag. Gelb 92 lotet diese Grenze aus, holt den Alltag mit Hilfe der Fotografie in die Galerie und stellt die Kunst (Objekte und Bilder) an Orten aus, wo Kunst nicht erwartet wird. Im Mittelpunkt der Ausstellungsprojekte steht der Mensch, indem Kunst und Alltag als Einheit verstanden wird, die in jedem Einzelprojekt herausgearbeitet wurde. …

Gelb 92 (Yellow 92) is also an investigation into the perceptual habits of viewers of modern art. Everything can be art; only the situation or the artistic frame indicate the border between art and everyday life. Gelb 92 explores this boundary, bringing everyday life into the gallery with the help of photography, and exhibiting art (objects and images) in places where art is not expected. The focus of the exhibition projects is the human being – by understanding art and everyday life as part of the same thing, and this unity is addressed in each individual project. …

Den Käfig der Vögel betreten, ohne sie zum Singen zu bringen (John Cage)

… Wenn Günther alltägliche Objekte in Beziehung zu rein ästhetischen setzt, schafft er einen ästhetischen Rahmen mit neuer Qualität. Die Objekte werden nicht gegenübergestellt, sondern ergänzen sich aneinander. Da die Kunst in ihrem Bestreben nach Einreißen immer neuerer Grenzen auch an diesen zarten Grenzen zwischen Kunst und Alltag mehrfach gerüttelt hat, ist die Grundlage bereits geschaffen worden, alltägliche Straßensituationen durch Einfügen eines Kunstwerks zu einem Gesamtkunstwerk werden zu lassen. Günther versucht einen Schritt weiter zu gehen und definiert die Objekte durch die Neusetzung des Kontextes nicht um. Die Poesie der Objekte ist eine Korrelation ihrer Zeichenhaftigkeit…

Entering a cage of birds without making them sing (John Cage)

… When Günther relates everyday objects to purely aesthetic ones, he creates an aesthetic framework that displays a new quality. The objects are not juxtaposed, but instead complement each other. Because art, in its quest to tear down new boundaries that constantly manifest themselves, has also repeatedly shaken these delicate borders between art and everyday life, the foundation has already been created for turning everyday street scenes and situations into a complete overall work of art by inserting any selected work of art. Günther tries to go a step further and does not redefine the objects by resetting the context. The poetry of the objects is a correlation of their symbolic or metaphorical character…

Die Frage nach der Gültigkeit des Alltags ist gestellt.

… Der Künstler zum Ende des 20. Jahrhunderts kann im überfüllten Raum der Kunstgeschichte nichts wirklich Neues erschaffen, sondern stellt – nicht unähnlich der Methoden in anderen gesellschaftlichen Bereichen – Zusammenhänge zwischen bereits Vorhandenem her. Wie Wissenschaftler mittlerweile zur Problemlösung auf interdisziplinäre Teams angewiesen sind, verbindet der zeitgenössische Künstler in einem assoziativ-analytischen Vorgang einzelne Objekte aus der Kunstgeschichte und dem Alltag zu einer persönlichen Aussage. Neu sind dabei nicht die Gegenstände, sondern deren Verbindungen. Die Symbol- und Signalfunktion jedes einzelnen Objekts wird zu einer persönlichen Aussage zusammengefügt. Die Endprodukte verlangen vom Betrachter ein Sehen, das im ersten Moment ohne Bewertung die Fragmente zu einem Ganzen werden läßt. Erst dann kann die persönliche Aussage herausgelesen werden. Dieses Sehen als das Zusammenfügen von Fragmenten, könnte man als „Technisches Sehen“ bezeichnen. …

The question of the validity of everyday life is posed..

… The artist at the end of the 20th century cannot create anything really new in the overcrowded space of art history. Instead, and not unlike methods used in other areas of society, the artist establishes connections between what already exists. Just as scientists have come to rely on interdisciplinary teams when attempting to solve problems, the contemporary artist combines individual objects from art history and everyday life in an associative-analytical process that results in the creation of a personal statement. What is new here are not the objects, but their connections. The symbolic and signaling function of each individual object is merged into a personal statement. The final products demand from the viewer a way of seeing that from the very first glance allows the fragments to become a whole without any type of evaluation. Only then can the personal statement be discerned. This way of seeing – i.e. as the merging of fragments – could be referred to as “technical seeing.” …

Bedingungen sind gestellt für das Augenscheinliche.

… Die Materialien und Inhalte seiner Arbeit entnimmt Detlef Günther der Gegenwart: eine Straße (Baustelle), ein Plakat (Werbung), ein Portrait, Interviews, lexikalische Definitionen. Der Umgang mit den Fragmenten ist ein künstlerischer Prozeß, der die verborgene Aesthetik alltäglicher Gegenstände offen legt. Anstatt dabei in einem, wie ich finde, pubertären Zynismus zu verharren und die Beliebigkeit der Objekte bezüglich ihrer Nutzbarmachung nur festzustellen, benutzt Günther die Beliebigkeit als Methode. Denn die Gleichwertigkeit der Objekte bedeutet für ihn eine größtmögliche Freiheit in einem Arbeitsprozeß aus Intuition und Kalkül Einzelnes auszuwählen, um damit Aussagen zu treffen.

Thomas Sakschewski – aus: Zone Reality – Gewalt und Wirklichkeit – Projektbroschüre anlässlich der IX.Internationalen Aidskonferenz in Berlin: „Aids Culture – Cultural Aids“, Berlin 1993

Conditions have been set for the obvious.

… Detlef Günther takes his work’s materials and content from the present: a street (construction site), a poster (advertisement), a portrait, interviews, dictionary definitions. The utilization of such fragments is an artistic process that reveals the hidden aesthetics of everyday objects. Instead of persisting in what I consider to be adolescent cynicism and merely noting the arbitrariness of the objects in terms of their usability, Günther uses arbitrariness itself as a method. That’s because for him, the equivalence of the objects means having the greatest possible freedom in a process of intuition and calculation in which he selects specific objects in order to make statements with them.

Thomas Sakschewski – from: Zone Reality – Violence and Reality – Project brochure on the occasion of the 9th International AIDS Conference in Berlin: “Aids Culture – Cultural Aids,” Berlin 1993